Natura Helvetica Juni / Juli 2020

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Natura Helvetica Juni / Juli 2020
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Eine Naturwanderung im Auenschutzpark Aargau

Von Aarau nach Wildegg

Direkt vor den Toren der Stadt Aarau: Eine gemütliche Wanderung oder Velotour für jede Jahreszeit, entlang der Aare durch ein Kerngebiet des Auenschutzparks Aargau. Innert Minuten verlässt man die Stadt und findet sich in der Natur wieder, wo aufmerksame Wanderer viel zu sehen bekommen.

Bilder und Text von Marco Nef

Der Wanderweg verläuft meistens leicht erhöht auf dem Aaredamm
Der Wanderweg verläuft meistens leicht erhöht auf dem Aaredamm.

Nebelschwaden sind typisch bei Sonnenaufgang
Nebelschwaden sind typisch bei Sonnenaufgang

Dynamische Auen werden regelmässig überschwemmt, hier während einer Trockenperiode
Dynamische Auen werden regelmässig überschwemmt, hier während einer Trockenperiode

Haubentaucher sind oft paarweise unterwegs
Haubentaucher sind oft paarweise unterwegs

Die Aare floss ehemals mäandrierend durch das breite Flusstal im Mittelland, seitlich begrenzt durch den felsigen Jura im Norden und eine Erhöhung mit Aarau und Rupperswil im Süden. Seit der industriellen Revolution wurden mit dem Aaredamm Korrekturen zur Gewinnung von landwirtschaftlich nutzbarem Land vorgenommen und Flusskraftwerke gebaut. Dadurch verschwanden die alten Auenwälder zu grossen Teilen.

Das hier beschriebene Naturschutzgebiet wurde nach einer kantonalen Volksabstimmung im Jahr 1991 zum Schutze der Aargauer Auenlandschaften und der dort lebenden Tiere und Pflanzen gegründet. Die Zahlen sind imposant: 270 Hektaren gross ist es alleine entlang der rund 8 Kilometer langen Strecke von Aarau bis nach Wildegg. Im ganzen Kanton wurden in gegen 30 Gebieten rund 60 Millionen Franken investiert. Zusätzlich müssen die Betreiber der zahlreichen Flusskraftwerke bei einer Erneuerung der Konzessionen Kompensationsmassnahmen zugunsten der Natur leisten, was gerade in diesem Gebiet mit drei Kraftwerken einen sichtbar positiven Einfluss hat.

Die Renaturierungsmassnahmen ermöglichten in den letzten Jahren die Wiederherstellung einer Weichholzaue, eines grundwassergespeisten Altarms (Aarschächli) und mehrerer Umgehungsgewässer für Fische. Ein Highlight ist die neue dynamische Flussaue bei Rupperswil, eine der grössten dieser Art in der Schweiz. Der Erfolg zeigt sich nach knapp drei Jahrzehnten bereits deutlich: Es wurden 71 Brutvogelarten und 39 Libellenarten gezählt. Das sind mehr Arten als in den viel bekannteren Schutzgebieten am Flachsee oder beim Wasserschloss, wo Aare, Reuss und Limmat zusammenfliessen. Trotzdem ist und bleibt der Druck durch Landwirtschaft und die Freizeitgesellschaft natürlich gross, sodass die Pflege des Gebiets weiter unterstützt werden muss.

Im Folgenden wird eine einfache Wanderung durch dieses Gebiet beschrieben. Sie kann in drei kurze Etappen unterteilt werden, die hier separat beschrieben werden. Diese können auch einzeln begangen werden, zum Beispiel im Rahmen einer jeweils kürzeren Rundwanderung entlang der beiden Aareufer. Beide Enden wie auch die beiden Zwischenziele sind bequem mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar.

Aarau - Biberstein

Der Eisvogel ist häufig zu sehen, wie er über dem Wasser seine Kreise zieht oder auf einem Ast ansitzt
Der Eisvogel ist häufig zu sehen, wie er über dem Wasser seine Kreise zieht oder auf einem Ast ansitzt

Im Auenwald hört man oft den Buntspecht, aber auch Klein- und Grünspecht können angetroffen werden
Im Auenwald hört man oft den Buntspecht, aber auch Klein- und Grünspecht können angetroffen werden

Blässhuhn mit zwei ihrer Jungtiere
Blässhuhn mit zwei ihrer Jungtiere

Im Untergeschoss des Bahnhofs Aarau befindet sich der erste Wanderwegweiser, der Richtung Jura weist. Wir wählen die Wanderroute 42, den Aargauer Weg, der mit der gut sichtbaren Signalisation von Schweiz Mobil ausgeschildert ist. Nach wenigen Minuten erreichen wir so bei der Stadtgärtnerei die Aare. Vor der Zurlindenbrücke rechts abbiegend passieren wir das Kraftwerk Rüchlig und treten kurz darauf, immer der Aare folgend, in den Telliwald ein, der korrekt Summergrien heisst. Gänzlich unerwartet findet man in diesem intensiv genutzten Naherholungsgebiet bereits Spuren des Bibers und mit etwas Glück auch einen Eisvogel.

Für die Radfahrer beginnen ebenfalls beim Bahnhof Aarau die Mittelland-Route (5) und die Aare-Route (8) von Schweiz Mobil. Offiziell führen diese in diesem Gebiet identischen Routen entlang des nördlichen Ufers der Aare. Es ist aber problemlos möglich, beim Schwimmbad im Aarauer Schachen vor der Brücke Richtung Osten abzubiegen und so dem südlichen Ufer zu folgen. Mit wenigen Ausnahmen ist es erlaubt, auf den Pfaden der Wanderroute 42 zu fahren. Wo die Signalisation dies verbietet, führt die jeweils zu nutzende Variante nur wenige Meter nebenher, typischerweise unterhalb des Aaredamms statt oben drauf.

Die schöne Holzbrücke über die während der Renaturierung aufgeweitete Suhre markiert den Eingang in den Auenschutzpark. Hier befindet sich einer der wichtigsten Laichplätze der in der Schweiz vom Aussterben bedrohten Nase - einer Fischart. Am rechten Ufer der Suhre und auch am äussersten Zipfel der Zurlindeninsel sieht man an den grossen Bäumen, welche Werke Biber mit ihren Zähnen vollbringen können. Der Weg verläuft ab jetzt meistens auf dem Damm, der die angrenzenden Wiesen und Felder vor Hochwasser schützen soll. Die Informationstafeln geben hier und auch später immer wieder Hinweise auf die in diesem Gebiet lebenden Tiere und erklären den Naturschutz im Kanton Aargau.

Unterhalb der grossen Autobrücke des Staffeleggzubringers gibt es auf der linken Seite einen Pfad, der zu kleinen Gewässern führt, aus denen im Frühling die Frösche zu hören sind. Hier beginnt auch ein grosser Schilfgürtel, der vielen Vögeln Lebensraum und Schutz bietet. Häufig hört man hier Buntspechte, die die toten Bäume bearbeiten. Bei Hochwasser ist dieses Gebiet jeweils überschwemmt, wie es für eine Auenlandschaft typisch ist. Von der Brücke herab kann man diese Landschaft gut überblicken.

Entlang des grundwassergespeisten Giessen - so heissen die Bäche in diesem Gebiet - geht man auf dem Aaredamm bis zur Bibersteiner Brücke. Im Frühling ist der Damm über und über mit Blumen in allen Farben bewachsen, darunter auch Orchideen. Hier leben Fuchs, Dachs, Biber, Wildsau, Hase, Reh und auch viele Vögel. Da es aber keine Seltenheit ist, dass bereits um fünf Uhr morgens die ersten Hundehalter hier ihre treuen Begleiter ausführen, ist es leider schwierig, die Wildtiere effektiv anzutreffen. Gut erkennbar sind aber zum Beispiel die vielen Biberrutschen.

Biberstein - Auenstein

Biber und Rehe besiedeln das ganze Gebiet in grosser Zahl und können in der Dämmerung einfach gesehen werden
Biber und Rehe besiedeln das ganze Gebiet in grosser Zahl und können in der Dämmerung einfach gesehen werden

Graureiher bewohnen beim Aarschächli rund 15 Nester, wo sie ihre Jungtiere grossziehen
Graureiher bewohnen beim Aarschächli rund 15 Nester, wo sie ihre Jungtiere grossziehen

Ein während der Renaturierungen neu angelegter Flusslauf bei Rupperswil
Ein während der Renaturierungen neu angelegter Flusslauf bei Rupperswil

Von der Bibersteiner Brücke erblickt man das Schloss mit dem prägnanten Berner Wappen. Das mag erstaunen, ist aber eine Erinnerung daran, dass Teile des Aargaus früher dem Berner Landvogt unterstellt waren. Direkt vor dem Schloss befindet sich die älteste Bio-Badi der Schweiz, wo man im Sommer auch einen Kaffee trinken oder zu Mittag essen kann. Natürlich lädt die Badi den geneigten Schwimmer auch zu einem Bad ein, wobei man während der Abkühlung den vielen Libellen zuschauen kann, die hier am Wasser leben.

Wir verlassen den Damm und folgen für die zweite Etappe wenige Meter dem darunter verlaufenden Kiesweg. Bei der ersten Abzweigung betreten wir den Wald und erreichen so nach einigen Minuten das Aarschächli. Dabei handelt es sich um einen Altarm der Aare, der wieder freigelegt wurde und durch das Grundwasser gespiesen wird. Hier trifft man immer Graureiher, Stockenten und Blässhühner an. Eisvogel, Silberreiher, Kormoran und Rohrdommeln sind ebenfalls regelmässig anwesend. Bei der Tafel, die Hundehalter vor Orcas warnt, erreicht man eine Kanzel, die relativ geschützt die Beobachtung der Tiere ermöglicht. Im Winter 2019/2020 hatten die Biber den Abfluss des Aarschächli gestaut und so den Wald dahinter überflutet. Den Staudamm kann man gut vom Weg her einsehen.

Auf der gegenüberliegenden Seite, zwischen dem Aarschächli und dem Giessen, wurde ein Areal für Amphibien erstellt. Die vielen kleinen Tümpel und die sie abgrenzenden Kies- und Schilfflächen sind auch Lebensraum unzählbarer Heuschrecken und Libellen. Das zieht natürlich auch den Graureiher an, der hier relativ einfach ein gutes Mahl findet. Öfters trifft man auch Rehe, die sich während des Tages im Schilf verstecken. Das wird jeweils im Herbst geschnitten, damit es nicht zu Verlandung kommt.

Hinter dem Aarschächli führt der Weg wieder zurück an die Aare. Man bemerkt hier, dass das Wasser immer langsamer fliesst. Das liegt am Kraftwerk Rupperswil-Auenstein, für das ein See aufgestaut wird. Kurz vor dem Kraftwerk zweigt rechts der sogenannte Geisseschache mit seinen vielen kleinen Inseln ab. Dieses Umgehungsgewässer hilft den Fischen, das menschgemachte Hinderniss zu umgehen und so trotzdem der Aare entlang schwimmen zu können. Als Laie fragte ich einmal, wie denn die Fische diese kleinen, irgendwo abzweigenden Umgehungsgewässer finden würden. Der Grund ist, dass dadurch eine Strömung entsteht, die sie wahrnehmen. Wer das nicht glaubt, der kann hier in den Untergrund steigen und an einer grossen Scheibe beobachten, wie die Fische vorbeischwimmen.

Nach dem Kraftwerk beginnt die bereits in der Einleitung erwähnte dynamische Flussaue. Grösstenteils kann sie nicht direkt begangen werden, man erhascht aber immer wieder einen Blick durch die Bäume und erkennt so, vielleicht mit Unterstützung einer Landeskarte, wie umfangreich die hier realisierten Renaturierungsmassnahmen sind. Bald erreichen wir den Martilooschache, von wo der Bahnhof Rupperswil oder die Badeanstalt Auenstein in Kürze erreichbar sind.

Auenstein - Wildegg

Morgendliche Nebelstimmung beim Aarschächli
Morgendliche Nebelstimmung beim Aarschächli

Den Esparsetten-Bläuling findet man sehr häufig
Den Esparsetten-Bläuling findet man sehr häufig

Der Wanderweg ist oben auf dem Aaredamm, der Veloweg rechts darunter
Der Wanderweg ist oben auf dem Aaredamm, der Veloweg rechts darunter

Die dritte Etappe startet mit der Überquerung der ersten der beiden schmalen Brücken Richtung Auenstein. Auf der Insel zweigt der Wanderweg nach rechts ab und führt ab hier bis ans Ende der Insel. Dies ist das Kerngebiet der dynamischen Flussaue. Mehrere erhöhte Aussichtspunkte erlauben den ungetrübten Blick auf diese Landschaft. Die Renaturierung wurde 2009 fertiggestellt. Bereits während der Bauzeit, als grosse Bagger den neuen Flusslauf ausgruben, begann ein Eisvogel eine Brut wenige Meter neben der Lastwagenpiste. Unterdessen wird die Natur hier nicht mehr gestört, der Verzicht auf Nutzung ist für 50 Jahre vertraglich gesichert.

Eine dynamische Flussaue ist genau das, was Flussauen ursprünglich waren: Der Fluss hat die Möglichkeit, durch seine Strömung und unterschiedliche Wasserstände die Landschaft zu gestalten, die er durchfliesst. In den meisten Jahren gibt es eine Überschwemmung, wodurch nicht nur das umgebende Land überflutet wird, sondern auch entlang des Flusslaufes die Ufer stark verändert werden. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass Inseln im Fluss auftauchen oder wieder abgetragen werden. So entstehen immer wieder Flächen, auf denen sich neue Tier- und Pflanzenarten etablieren können. Durch die Entfernung von Uferverbauungen wurde hier diese Dynamik wieder ermöglicht. Die aufgeschütteten Inseln sind nicht zugänglich und somit ein ideales Rückzugsgebiet für viele Tiere.

Am Ende der Insel überquert man auf einer Fussgängerbrücke die Aare. Der Blick zurück Richtung Aarau offenbart nochmals die neu entstandenen Inseln. Gen Osten sieht man das Schloss Wildegg, das über dem gleichnamigen Dorf thront. Der Wanderweg geht jetzt noch ungefähr einen Kilometer weiter bis zum Bahnhof Wildegg. Dieser letzte Abschnitt führt wieder auf dem Aaredamm entlang der Aare, bevor man nach rechts abbiegend die Natur verlässt und in den Siedlungsraum eintritt. Mit dem Zug oder Bus geht es von hier bequem nach Hause.

Die beschriebene Wanderung ist 9.3 Kilometer lang und dauert zirka 2¼ Stunden. Sie kann bis nach Brugg verlängert werden, immer den Wegweisern mit der grünen 42 folgend. Den Aareauen und seiner Tierwelt widmet sich ein Teil der permanenten Ausstellung des Naturama in Aarau (www.naturama.ch). Das abwechslungsreiche und moderne Naturmuseum liegt direkt am beschriebenen Wanderweg.

www.ag.ch/auenschutzpark

Nützliche Informationen

Empfohlener Wandermonat:ganzjährig
Höhenmeter Aufstieg:0 m
Höhenmeter Abstieg:30 m
Tiefster Punkt der Tour:353 m (Wildegg)
Höchster Punkt der Tour:383 m (Aarau)
Länge:9,3 km
Zeitaufwand:2 1/4 h
Anreise:Mit öffentlichem Verkehr nach Aarau
Schwierigkeitsgrad:T1 - Wanderung
Kartenmaterial:Landeskarten der Schweiz, 1:25‘000,
Blatt 1089 «Aarau»

Der Autor

Marco Nef ist 1975 geboren und lebt in Aarau. Zur damals noch analogen Fotografie fand er bereits während der Schulzeit. Nach dem Studium unternahm er grössere Reisen. Dabei wurde die Fotografie zu einem wichtigen Hobby, das er seit zehn Jahren hauptsächlich in der Region Aarau betreibt. Seine Bilder und auch Reiseberichte veröffentlicht er auf seiner Website, in den sozialen Medien und auch in Magazinen im deutschsprachigen Raum. Er ist Mitglied der Schweizer Naturfotografen.