Dieser Artikel ist im
Naturblick 04/2014
erschienen
Auenschutzpark Aarau-Wildegg
Geografisch kann die Schweiz grob in drei Regionen unterteilt werden: Die Alpen, den Jura und dazwischen das Mittelland. Die meisten Einwohner der Schweiz leben im Mittelland, eine durch die Gletscher der Eiszeiten geformte Landschaft von Sankt Gallen bis Genf. In deren Zentrum liegt der Kanton Aargau mit einem Ruf, der geprägt ist durch die Sicht der Transitreisenden: Autobahnen, Einkaufszentren, Atomkraftwerke.
Bilder und Text von Marco Nef

Als Zuzügler musste ich den Kanton erst einmal kennen lernen. Eine gute Landkarte hilft immer und dank dem ausgezeichneten öffentlichen Verkehr kann man die Region einfach erkunden. Schnell merkte ich, dass es beidseits der Transitachse eine grosse Zahl wunderschöner Landschaften gibt. Diese sind insbesondere entlang der vier grossen Flüsse zu finden, die durch den Aargau fliessen: Aare, Reuss, Limmat und Rhein.
Die Aare ist der grösste Zubringer des Rheins. Sie trägt beim Zusammenfluss rund 60% des Wassers bei. Da sie direkt durch meinen Wohnort Aarau fliesst, ist es naheliegend, in ihrem Umfeld zu fotografieren.
Die Stadt Aarau steht auf einem Felsen, der den Aarelauf stark einschränkt. Wo sich das Flusstal wieder verbreitert, gab es vor den Zeiten intensiver Landwirtschaft genügend Platz für eine mäandrierende Aare. Nach Jahrzehnten der totalen Flusskontrolle wurde in den letzten Jahren für viel Geld die Renaturierung in Angriff genommen. Der Auenschutzpark Aarau-Wildegg ist ein Kerngebiet dieser Massnahmen im Kanton Aargau.
Die Auenlandschaft wird geprägt durch an die Oberfläche tretende Grundwasser. Diese sogenannten „Giessen“ werden meist von Wald oder Hecken gesäumt und haben eine Gesamtlänge von rund elf Kilometern. Sie führen ausserordentlich klares Wasser und dienen deshalb auch der Trinkwasserversorgung der umliegenden Gemeinden. Der Aare-Schotter, durch den sie fliessen, hat eine Tiefe von bis zu dreissig Metern. Entsprechend sind die Grundwassermengen enorm und es kann geschehen, dass bei Hochwasser regelrechte Ströme aus dem Boden schiessen.
![]() Ein Höckerschwan präsentiert sich
|
![]() Allgegenwärtige Spuren der Biber
|
![]() Röhricht
|
Biber
Bereits vor meinem ersten Besuch wusste ich, dass hier Biber leben. Weil ich das Gebiet aber noch nicht kannte, hatte ich keine Möglichkeit, gleich Biber zu finden. Ein Biologe gab mir einen Hinweis auf eine Stelle, wo er gerade Biber gesehen hatte. Beim nächsten Besuch positionierte ich mich frühmorgens an der beschriebenen Stelle und schon nach kurzer Zeit hatte ich meine allererste Begegnung mit diesen beeindruckenden Tieren.
Biber sind jedoch kein einfaches Fotomotiv, weil sie nacht- und dämmerungsaktiv sind. Das Licht war meistens so knapp, dass die Kamera den nötigen Fokus nicht finden konnte. Manchmal klappte es aber trotzdem, und sonst war es einfach ein tolles Erlebnis.
Eindrücklich sind die Spuren der Biber – manche würden sie Schäden nennen – entlang ihres Wirkungsraums. Zu hunderten werden kleinere Bäume gefällt. Aber auch vor jenen mit enormem Stammumfang machen sie keinen Halt. Entlang der Aare und auch der Giessen gibt es Abschnitte, wo die Rinde fast jedes Baums angefressen ist. Der Giessen wird auch immer wieder gestaut. Trotzdem dauerte es fast ein Jahr, bis ich den ersten Biberbau entdecken konnte. Die Schwierigkeit liegt im meist wenig einsehbaren Uferbereich, wo sich die Biber bekanntlich niederlassen. Völlig unerwartet traf ich auch einmal auf eine Nutria (Bisamratte). Erst auf den Fotos konnte ich sie anhand ihres Schwanzes identifizieren. Im Wasser sind sie kaum vom Biber unterscheidbar, wenn nur der Kopf herausschaut.
Eisvogel
Nie zuvor hatte ich einen Eisvogel gesehen. Ich war überzeugt, dass dieser meiner Meinung nach schönste Vogel Europas sehr selten sein muss. Doch schon bei meinem ersten Besuch beim Aarschächli sah ich einen. Und besonders erfreut war ich, als ich auch gleich noch seinen Nestbau entdeckte. Und so ging es weiter: Wo immer zwischen Aarau und Wildegg ich mich bewege, treffe ich auf Eisvögel. Bald kannte ich Ihren typischen Laut, ohne den zu kennen es schwierig ist, sie überhaupt zu sehen, da sie äusserst schnelle Flieger sind und sich meist nur knapp über der Wasseroberfläche bewegen.
Mangels eines richtig langen Teleobjektivs muss ich jeweils sehr nahe an die Eisvögel herankommen, damit sie sinnvoll abgebildet werden. Die ersten Versuche scheiterten kläglich: ein kurzes Aufsetzen in meiner Nähe, und sie waren wieder weg. Meine Idee, mir ein Tarnnetz anzuschaffen, war Gold wert. Plötzlich näherten sich die Eisvögel bis auf zwei Meter und blieben sogar sitzen, wenn ich einen Blitz nutzte. Ich konnte es kaum fassen, als mir ein Foto von einem Weibchen gelang, das einen Fisch für ihre Jungtiere im Mund hatte.
Trotz Tarnnetz blieb ich aber nie lange in der Nähe eines Nestbaus, denn Brutvögel soll man nicht stören. Wenn sie sich gestört fühlen, so besteht die Gefahr, dass sie den Nestbau aufgeben und die Jungtiere schlimmstenfalls verhungern.
Übrigens bin ich überzeugt, dass ein Tarnnetz viel praktischer ist als ein Tarnzelt. Für letzteres wird ein einigermassen flacher Platz zum Aufstellen benötigt, was ich kaum je vorgefunden habe. Das Tarnnetz hingegen wirft man einfach über sich und bleibt still sitzen. Das Einrichten ist zwar nicht lautlos, aber rasch erledigt.
Reiher, Kormorane und andere Wasservögel
Silberreiher und Rohrdommel habe ich nur als Durchzügler beobachtet. Graureiher und auch Kormorane hingegen können entlang der Aare in grosser Anzahl angetroffen werden. Direkt am Aarschächli, einem ausgebaggerten Altarm der Aare, gab es 2013 sechs Graureihernester. Im Sommer gelang mir eine Aufnahme mit zehn dieser schönen Tiere, als sie auf einem gefallenen Baum ruhten.
Für ein Porträt eines Graureihers braucht es viel Geduld: Man muss wissen, wo sie sich ausruhen und dort schon lange vorher getarnt warten. Eine Annäherung an einen ruhenden Reiher ist sozusagen unmöglich, bereits auf 50 Meter Distanz ergreifen sie sofort die Flucht, wenn man stehen bleibt. Nur einmal habe ich eine Ausnahme erlebt und konnte eine ganze Serie von Fotos auf den Chip bannen.
Erstaunlich empfinde ich das Verhalten der Enten: In der Stadt Aarau kann man die Enten am Aareufer fast berühren, im wenig davon entfernen Naturschutzgebiet hingegen fliehen sie schon, wenn man sich noch weit ausserhalb der Fotodistanz befindet.
Übrige Tierwelt
Schlangen, Eidechsen und Frösche habe ich hier angetroffen. Frösche gibt es in riesiger Anzahl im neu gebauten Biotopbereich. Dort ist es sehr einfach, sich ihnen zu nähern und sie zu fotografieren. Zwar tauchen sie bei der Annäherung sofort ab, kehren aber bald darauf am fast gleichen Ort zurück.
Libellen gibt es ebenfalls sehr viele. Dank dem schnellen Autofokus der Canon 7D konnte ich Mosaiklibellen gar im Flug fotografieren. Andere Libellenarten zeigten sich in wunderbarem Gegenlicht oder bei der Paarung.

Lohn des Frühaufstehers
Wenn ich das Naturschutzgebiet besuche, stehe ich immer so früh auf, dass ich mit dem Fahrrad vor der Dämmerung eintreffe. Sicher auch deshalb habe ich bisher nicht nur die bereits erwähnten Tiere angetroffen, sondern auch Füchse, Rehe, Hirsche, Eichhörnchen und sogar ein Wiesel. Dazu kommt eine riesige Anzahl Vogelarten, die ich gar nicht identifizieren kann.
Das beste Erlebnis überhaupt war aber ein Morgen im Juni 2013, als ich mich bereits um vier Uhr am Ufer des Giessen unter dem Tarnnetz eingerichtet hatte. Zu so früher Stunde sind sogar die Vögel noch am schlafen und es herrscht im Wald Stille. Kurz darauf geht es dann los mit dem Gezwitscher und Pfeifen. Es tut fast weh in den Ohren, so stark ist der Kontrast zur Ruhe davor. Das alleine ist schon ein Erlebnis, doch meine Geduld wurde noch mehr belohnt.
Da wartete ich also auf Biber und begann langsam zu frösteln. Plötzlich hörte ich ein Rascheln. Nein, diesmal war es nicht das Eichhörnchen, das einmal fast auf meinem Kopf Platz nahm. Am anderen Ufer des Giessen erschien ein Rehbock, schaute um sich und schritt dann zielstrebig die Böschung hinunter ins Wasser, direkt in meine Richtung. Als er bereits in der Mitte war, machte ich mein Foto. Jetzt sah er mich direkt an, und trotzdem ergriff er nicht einfach die Flucht, sondern kehrte ans gegenüberliegende Ufer zurück, stieg wieder aus dem Wasser und entfernte sich langsam.
![]() Mosaikjungfer im Gegenlicht
|
![]() Teichfrosch
|
![]() Rehbock bei Durchquerung des Giessen
|
![]() Biber
|
![]() Zauneidechse
|
Naturschutz im 21. Jahrhundert
In einer der dichtest besiedelten Regionen Europas ist Naturschutz nicht einfach zu realisieren. Nicht nur die Landwirtschaft bedrängt die letzten Schutzgebiete, sie dienen auch der Naherholung der Menschen: Fahrradfahrer, Jogger oder „Stockenten“ (so werden unter Naturfotografen und Biologen Nordic Walker genannt) sind ebenso allgegenwärtig wie Reiter, Hundehalter und – Fotografen. Auch grosse Strassen oder Bahnlinien trennen die natürlichen Reviere der Tiere. Immerhin haben die Bewohner des Kantons Aargau durch eine Volksabstimmung der Schaffung des Auenschutzparks zugestimmt und so den Behörden den klaren Auftrag zum Erhalt einer speziellen Landschaft erteilt.
Persönlich stehe ich aber dem hier gelebten Naturschutz auch kritisch gegenüber. Toll finde ich die Massnahmen zur Erstellung neuer Seitenarme der Aare, die zu Biotopen für viele Arten werden und so natürlich auch schöne Fotomotive ermöglichen. Nachvollziehen kann ich, dass an den Teichen in der kalten Jahreshälfte das Schilf radikal entfernt wird. Ansonsten würden sie wegen dem aus der Landwirtschaft stammenden hohen Nährstoffgehalt innert weniger Jahre überwachsen und deshalb verlanden.
Die Wälder rund um das Aarschächli sehen aber leider aus wie eine Kampfzone, weil versucht wird, alle nicht heimischen Bäume und Sträucher zu eliminieren. Realisiert wird das mit schwerem Gerät, das entsprechende Schneisen hinterlässt. Begründet werden diese Arbeiten mit der drohenden Verdrängung heimischer Arten. Dass man das dann auch in der grösseren Umgebung machen müsste, scheint ignoriert zu werden.
Steckbrief „Auenschutzpark Aarau-Wildegg“ | |
WIE KOMMT MAN HIN?Das beschriebene Gebiet erstreckt sich entlang der Aare von Aarau bis Wildegg. Mit dem Auto fährt man nach Biberstein und parkiert auf der Südseite der Aare bei der Brücke nach Rohr. Bequem ist ein Besuch mit dem Fahrrad von Aarau, Biberstein, Rupperswil oder Wildegg kommend. So kann man sich in diesem grossen Gebiet rasch bewegen und an einem Tag mehrere Locations besuchen respektive auskundschaften. WANN LOHNT SICH EIN BESUCH?Immer. Im Frühling können insbesondere die Vögel dank wenig Laub einfacher beobachtet werden als im Sommer. Dafür gibt es im Sommer Amphibien und viele Kleintiere für spannende Makroaufnahmen. Im Herbst ist eher wenig los, das braun gefärbte Laub ermöglicht aber schöne Landschaftsaufnahmen. Im Winter lässt sich das Grosswild in Szene setzen, sofern es denn Schnee hat. WELCHE AUSRÜSTUNG IST ZU EMPFEHLEN?Für die Beobachtung der Tiere sind ein Tarnnetz und viel Geduld essentiell, ebenso lange Brennweiten, möglichst mit Tarnüberzug. Immer dabei habe ich auch ein 100mm Makro, das 16-35mm mit Lee-Filtern für Landschaftsaufnahmen und einen Feldstecher. Sehr wichtig ist auch warme Bekleidung, Fischerstiefel geben warme Füsse und vergrössern den Bewegungsradius. |
SONST NOCH WAS?Weiter östlich an der Aare gibt es weitere Auenlandschaften, insbesondere das sogenannte Wasserschloss bei Brugg und der Klingnauer Stausee, ein Schutzgebiet internationaler Bedeutung. Der Flachsee bei Unterlunkhofen ist auch immer einen Besuch wert. Nördlich der Aare beginnt der Faltenjura mit dem Jurapark Aargau. Man sieht vom Rohrer Schachen her die imposante Wasserflue. Weitere solche Felsen sind durch kurze Wanderungen problemlos erreichbar. Hier leben sogar Gämsen und Luchse. MEHR INFORMATIONEN |
Der Autor

Marco Nef ist 1975 geboren und lebt in Aarau, Schweiz. Zur Fotografie fand er während der Schulzeit mit der SLR seiner Eltern. Nach dem Studium als Informatik-Ingenieur unternahm er grössere Reisen und entwickelte dabei die Fotografie zum wichtigen Hobby.