Dieser Artikel ist im Natura Helvetica Juni / Juli 2016 erschienen
Begegnungen bei Tagesanbruch
Spinnen und Insekten im Morgentau
Im frühen Sommer, wenn die Temperaturen nachts noch in den einstelligen Bereich fallen, lohnt sich ein frühes Verlassen des bequemen Betts für eine Expedition in die Natur speziell. Die Suche nach Spinnen und Insekten ist während der Dämmerung und kurz nach Sonnenaufgang nicht einfach, weil sich die Tiere noch im tiefen Gras oder im Gebüsch versteckt halten. Wer genau hinschaut, wird aber bald Erfolge feiern und eine vielen Leuten unbekannte kleine Welt entdecken: Kleintiere in der Kältestarre.
Bilder und Text von Marco Nef
Im Mittelland der Schweiz können bereits im Monat Juni Gliederfüsser (Arthropoda), also Spinnen und Insekten, in grösserer Anzahl beobachtet werden. Während eines Spaziergangs entlang von Flüssen, Wiesen oder Wäldern schwirren diese kleinen Tierchen um den Kopf oder man sieht sie bei der Annäherung am Wegrand davonhuschen.
Die andere Sichtweise
Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, auf die Knie zu gehen und ein solches Tier von ganz nahe zu betrachten, der kann entweder Ekel oder grosses Interesse entwickeln. Bei mir war schon immer eine grosse Faszination für jegliche Arten da, ausser für Spinnen, muss ich eingestehen. Wenn man sich aber oft in der Natur und dicht am Boden bewegt, so kann man gar eine Arachnophobie (Spinnenangst) wegtrainieren. Spinnentiere können dann plötzlich sehr eindrückliche und photogene Erscheinungen darstellen.
Ein nochmals anderes Bild präsentiert sich demjenigen, der sich die Mühe macht, in der Dunkelheit aufzustehen und beim ersten Licht der Dämmerung Insekten zu suchen. Das ist gar nicht so einfach, denn die meisten verstecken sich während der Nacht unterhalb von Blättern oder nahe des Bodens im tiefen Gras. Mit dem Licht der aufgehenden Sonne klettern sie langsam in die Höhe, um sich wärmen zu lassen. Wenn es in der Nacht kalt war, so sieht man dann, dass sie von Tautropfen übersät sind. Diese Tropfen sind mikroskopisch klein und oft perfekt kugelförmig.
Meist bedecken die Tautropfen den ganzen Körper und die Flügel. Sie können dann zum Beispiel wie Mikrolupen Pigmente der Sehorgane vergrössern. Auf Fotos ist dann oft gar nicht mehr erkennbar, ob man effektiv das Auge sieht oder nur eine Reflexion. Oder an den Beinen hängen Wassertropfen, bei deren Grösse man befürchten könnte, dass die Tiere zu schwach sind, sie wieder abzuschütteln.
Wie die Tautropfen entstehen
Die Entstehung der Tautropfen ist ein physikalisches Phänomen. Eine exakte Erklärung ist nicht trivial und berücksichtigt diverse Umweltfaktoren. Aus diesem Grund versuche ich hier, eine vereinfachte Beschreibung widerzugeben.
Die Luft um uns herum nimmt Wassermoleküle auf, wobei man von der Luftfeuchtigkeit spricht. Wie viel Wasser die Luft aufnehmen kann, hängt von ihrer Temperatur ab. Während des Tages erwärmt sie sich und durch Verdampfung steigt gleichzeitig die absolute Luftfeuchtigkeit, also die Menge in der Luft gespeicherten Wassers. In der Nacht sinkt die Temperatur wieder ab, was bedeutet, dass die relative Luftfeuchtigkeit ansteigt, denn die Luft kann jetzt weniger Wasser aufnehmen.
Vom Taupunkt spricht man, wenn die Luft gesättig ist, also eine Luftfeuchtigkeit von 100% erreicht ist. Wenn der Taupunkt während der Nacht unterschritten wird, so muss die Luft Feuchtigkeit abgeben. Dies geschieht bei bodennaher Luft in Form von Nebel und kleinsten Wassertropfen, die auf beliebigen Oberflächen kondensieren.
Solche 'bodennahe Oberflächen' sind zum Beispiel Tiere oder Pflanzen. Bei der Kondensation wird ihnen Temperatur entzogen, weshalb die Insekten und Spinnen oft in eine Kältestarre fallen. Sie unterkühlen also temporär, was aber kein Problem darstellt. Sie bewegen sich dann aber meistens nicht mehr oder nur wenig, sodass es einfacher wird, sie zu beobachten oder zu fotografieren, sofern man sie entdeckt.
Wenn die Temperaturen nach dem Sonnenaufgang wieder zu steigen beginnen, so sammeln die Tiere Energie, um sich wieder zu bewegen oder warten einfach darauf, dass die Tautropfen verdampfen. Bei Grashüpfern habe ich festgestellt, dass sie jederzeit die Flucht ergreifen können. Schmetterlinge hingegen sind länger erstarrt und ergreifen während dieser Zeit kaum je die Flucht.
Makrofotografie
Alle hier gezeigten Fotos habe ich im Auenschutzpark Aarau-Wildegg entlang der Aare realisiert, wo ich mich regelmässig frühmorgens einfinde, um als Ausgleich zur täglichen Büroarbeit die Natur zu geniessen und fotografisch zu erfassen. Dabei nutze ich meistens Makro- und Lupenobjektive, die starke Vergrösserungen und so ungewohnte Perspektiven ermöglichen. Die faszinierende Welt des Kleinen wird dadurch greifbar, die Bilder faszinieren den Betrachter insbesondere auch wegen der unbekannten Perspektiven.
Wegen der frühen Tageszeit und weil Makroobjektive wegen der starken Vergrösserungen viel Licht brauchen, sind die Belichtungszeiten eher lang. Es ist folglich sehr empfehlenswert, ein Stativ einzusetzen.
Wenn man Makro fotografiert, so muss man sich möglichst am Boden sehr nahe ans Objekt bewegen, idealerweise auf den Knien und gar robbend. Im Gegensatz zur Vogel- und Säugetierfotografie ist dabei das Erschrecken der Tiere nicht problematisch, deren Leben sollte dadurch nicht gefährdet werden. Trotzdem darf man sich nicht gedankenlos bewegen, denn oft besteht die Gefahr, andere Tiere oder Pflanzen zu gefährden, während man auf dem Boden liegt. Das würde dazu führen, dass eine schöne Blumenwiese plötzlich so aussieht, als hätte eine Rotte Wildschweine darin genächtigt.
Der Autor
Marco Nef ist 1975 geboren und lebt in Aarau. Zur Fotografie fand er während der Schulzeit mit der SLR seiner Eltern. Nach dem Studium als Informatik-Ingenieur unternahm er grössere Reisen und entwickelte dabei die Fotografie zu einem wichtigen Hobby. Er ist Mitglied der Schweizer Naturfotografen.